🇲🇦🇪🇸 49-29 egaT. POTS
- Charlotte Tina
- 5. Okt. 2022
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Okt. 2022
Am Sonntag fuhr ich von Chefchaouen nach Meknès. In einem Riad, einem traditionellen Gasthaus, hatte ich gebucht.
Ich holte Balu aus dem "Parkhaus". Am Vortag hatte ich mit den Typen 30 Dirham ausgemacht, jetzt wollte der eine plötzlich 50. Ich schaltete auf stur und sagte, nein, war anders ausgehandelt. Das hat mich ziemlich angepisst. Nicht wegen des Geldes, sondern weil sie mich derart offensichtlich verscheissern wollten. Es zog sich hin, ich war sauer, es kamen immer mehr Männer, ich blieb stur. Keiner konnte mehr eine andere Sprache. Irgendwann sagte einer dann plötzlich doch auf Englisch, für Dich ist das nicht so viel Geld, aber für ihn schon. Gib es ihm doch einfach und dann ist gut.
Hab ich gemacht. Der Typ hatte zum Zusammenrechnen von 20+25 einen Taschenrechner gebraucht. Seine Zähne waren faulig-braune Stümpfe. Er war ein armer Tropf und ich eine Prinzipienreiterin? Ich bin immer noch unschlüssig.
Je weiter ich nach Süden kam, desto unansehnlicher wurde die Landschaft; sie war übersät von Plastiktüten, die auf den Feldern und in den Büschen flatterten. Überall lag Müll, insbesondere an Ortsein- und ausgängen waren die Straßengräben regelrechte Müllhalden. Zudem lagen an sehr sehr vielen Stellen große Mengen Schutt und Baumüll. Vielerorts schwelten Feuer; Müll, auch Plastik wurde offen verbrannt, aber auch die Böschungen mit Feuer gerodet.
Ich kam an einer Ölmühle vorbei, probierte das regionale Olivenöl und ließ mir einen Liter abfüllen. Touri-Preis 50 Dirham. Ich schätze mal, es gilt Faktor 3-6 im Mittel.
Die Erde war extrem trocken, die Acker mit Steinen durchsetzt. Auf den Straßen und in den Ortschaften liefen viele streunende Hunde umher, Ziegen, Schafe, Pferde, Esel, Mulis. Auf dem Land deutlich weniger Katzen. Alle Tiere waren so unterernährt, dass sie aussahen, als stächen gleich die Rippen durch ihr Fell.
Vielen Eseln waren die Vorderbeine zusammengebunden, so konnten sie nur hüpfen. Dabei suchten sie die paar verdorrten Halme Stroh, die auf den Feldern kaum auszumachen waren.
Alles sah wirklich alt aus und ungepflegt. Die Läden in den Dörfern waren Hauseingänge mit rostigen Tresen und blinden Plexiglasscheiben. Alles atmete Armut. Ich fand das erschütternd.
Ich wurde angestarrt, oft brüllten kleine Jungs mir irgend etwas zu, Männer versuchten, das Auto anzuhalten indem sie so taten, als würden sie mich wie Polizisten rauswinken. Andere standen oder saßen am Straßenrand und wollten per Anhalter mitgenommen werden. Viele unterbrachen, was sie gerade taten, und gafften.
Ich verließ die Landstraße und machte einen größeren Umweg über sehr kleine Dörfer.
Die Menschen trugen keine Schuhe, winzige Esel waren unterwegs, auf ihren Rücken ausgewachsene Männer zusätzlich zu schweren Lasten. Es ist mir ein Rätsel, weshalb die Tiere nicht zusammenbrechen. Sehr viele Menschen waren unterwegs, um an Brunnen mit großen Kanistern Wasser zu holen.
Fast allen fehlten erhebliche Mengen Zähne. Ich sah mehrfach Männer, die barfuß auf der bloßen Erde und im Dreck am Straßenrand schliefen.
Es waren 32 Grad im Schatten, die Sonne brannte.
Ich fuhr streckenweise sehr langsam, auch, weil die Straßen oft in schlechtem Zustand waren. Ich sah einen Mann, der neben seinem Haus ein Schaf schlachtete. Der Kopf war bereits ab, er zog es an den Hinterläufen hoch, um es zu häuten.
In Meknès fuhr ich zum Riad, nahm das Zimmer in Augenschein und aß erst einmal saucissons grillée. Merguez-Würstchen mit Möhren mit Petersilie und Koriander, dazu Brot. Na ja.
Dann lief ich los. Zuerst besichtigte ich ein Grabmal eines Sultans, schickes Häusle. Dann wollte ich mal sehen, wie die Stadt abseits der Touri-Ecke aussieht. Ich lief in ein am Rand liegendes Viertel. Auf dem Fußweg in der gleißend Sonne lag ein Babykätzchen und rührte sich nicht. Es war tot, ihm fehlte das halbe Gesicht.
Später sah ich auch tote Hunde, die aussahen, als schliefen sie. Mitten auf den Wegen und Straßen. Manche Hunde schliefen tatsächlich in aller Seelenruhe mitten auf der Straße und alle fuhren einen großen Bogen, zum Piepen.
In dem Viertel war ich quasi alleine, die Gassen waren wie ausgestorben. Ab und an sah ich Marokkaner, eine Gruppe Jugendlicher brüllte mir Anzüglichkeiten hinterher ("He, belle maman, voulez vous coucher....." und etwas auf Marokkanisch, worüber alle wieherten wie verrückt). Nicht schlimm, aber in dem Setting auch nicht schön. Die Sträßchen mündeten fast alle in Sackgassen, die Wände waren so hoch, dass Navi nicht funktionierte. Also irrte ich da eine Weile rum. Die Frauen, die mir begegneten, grüßte ich mit einem freundlichen Bonjour und wurde mit strahlenden Lächeln zurück gegrüßt. Irgendwann fand ich den Weg raus und lief zum Souk in der Medina. Schrecklich. Voll. Laut. Billiger Ramsch. Müll überall.
Auf den Straßen bemitleidenswerte, magere Pferde, vor Kutschen für Touristen gespannt. Früher sagte man Mähren.
Ich wollte einen frisch gepressten Zuckerrohrsaft trinken und stellte mich an einem Stand an. Die vor mir zahlten zwei Dirham. Ich bestellte und sollte zehn Dirham bezahlen. Ich sagte, nein, die vor mir haben zwei bezahlt. Ja, das wäre ein anderes Glas gewesen. Ich dankte und drehte ab. Beim zweiten Stand die fast gleiche Nummer. Beim dritten sprach ich die Marokkanerin vor mir an und schilderte die Situation auf Französisch, so gut es eben ging. Sie lachte und bestellte für mich einen großen Saft, fünf Dirham. Als der Verkäufer das mitbekam, guckte er wenig angetan und meine Verbündete amüsierte sich köstlich.

Die Frauen..... Ich habe leider nicht sehr oft Gelegenheit gehabt, mit Frauen in Kontakt zu kommen. Aber jedes Mal waren sie witzig, weltoffen, clever. Ich spreche nicht von den Frauen auf den Dörfern, sondern denen in größeren Orten. Die Frau im Laden der Telefongesellschaft. Sie wusste, was ich wollte, musste aber auf ihren Vorgesetzten warten. Als der da war, versuchte er, eine SIM-Karte frei zu schalten. Der Mann hat eine geschlagene Stunde mit ungeheuer wichtiger Miene am Rechner gesessen. Nix. Sie guckte schon immer genervt von der Seite, gab irgendwann Ratschläge (der Kerl hat übrigens kein Wort mit mir gewechselt, das ging nur über sie). Irgendwann überließ er es ihr, keine Ahnung, unter welchem Vorwand. Sie erledigte das in unter zehn Minuten und hatte auch noch so eine Nadel parat zum Öffnen des SIM-Fachs, an ihrem Schlüsselbund.
Die Frau aus dem Riad. Sie war da angestellt, aber die einzige, die einen Plan hatte. Sie spricht fünf Sprachen, vier fließend (Französisch, Türkisch, Arabisch, Englisch), Spanisch gut. Sie würde rasend gern durch die Welt reisen als Backpackerin, aber dafür fehlt ihr das Geld und sie bekäme keinen Pass.
Ich sprach mit ihr darüber, was ich für Erfahrungen mache und wie unangenehm ich Meknès fände. Sie stimmte mir in allem zu und sagte, dass die Stadt durch Corona völlig verändert sei und auch, dass ihr König nie dorthin käme, weshalb die Stadt nicht herausgeputzt würde, wie andere.
Ach so, und regelmäßig (5-7x/Tag) tönte es vom Muezzin zum Gebet aus den Lautsprechern "Aaaaaallllaaaah Akbaaaaaar...". Betete nur keiner, hab jedenfalls nie jemanden gesehen, den das interessierte.
In allen größeren Orten gibt es Trinkwasser-Brunnen. Auf dem Rand steht immer ein Plastik- oder Metallbecher und alle Menschen benutzen diesen einen Becher. Hunderte am Tag.

Bei einem anderen Händler kaufte ich ein Stück Gebäck für 1 Dirham, es sah ansprechend aus, schmeckte aber nach nichts.
Übrigens habe ich nichts gegessen in der kurzen Zeit, was mich glücklich gemacht hat, aber Milchkaffee machen sie guten.


Ich lief durch die größeren Straßen und schaute mich um, dann zurück zum Riad, auf die Dachterrasse mit einem Café au lait.
Die Wüste war mein nächstes Ziel, ich buchte in Errachidia ein Zimmer, um von dort aus auf Tour zu gehen. Mir schwebte eine Nacht in einem Zelt vor und ein ausführlicherer Ritt auf einem Dromedar.
Das Hotel in Errachidia hat einen Pool, in den auch Frauen dürfen (!). In den Rezensionen stehen Kommentare, dass das unglaublich sei und der Laden geschlossen gehört, das würde ja so gar nicht der Scharia entsprechen.
Am nächsten Morgen, Montag, war ich unschlüssig. Als ich losfahren wollte merkte ich, wie sich in mir alles sträubte. Die Erfahrung der ersten Nacht saß auch noch tief. Wenn ich zur Wüste führe, müsste ich noch mindesten drei Nächte in Marokko bleiben. Und dieser Gedanke ließ mich letztlich entscheiden, auf meinen Bauch und das damit verbundene Unwohlsein zu hören und zurück zu fahren.
Auf der Höhe von Chefchouaen hielt ich an. Die arme kleine Mieze hatte mich in den Schlaf verfolgt. Ich googelte, was es für Möglichkeiten gibt. Nichts, was ich hätte tun können. Sie müsste mindesten 15 Wochen alt sein und seit fünf Wochen gegen Tollwut geimpft. Das war nicht machbar. Schmuggeln ging auch nicht, weil sie an der Grenze rein und raus gezielt nach Tieren und Haschisch/Marihuana suchen. Schweren Herzens fuhr ich weiter. Später, schon in Spanien, kam mir die Idee, die nette Frau in dem Laden hätte ich ansprechen und ihr Geld geben können für Futter und einen Veterinär. Zu spät. Und es gibt dort so viele.
Ich passierte einen Ort, in dem ein Viehmarkt stattfand, da war die Hölle los. Die Straße voller Menschen und Tiere, ein unglaubliches Gewusel.
Zum Thema Straßen: das veranschlagte Google Maps für gut 100Km (haute auch hin):

Ab der Höhe von Tétouan und mehr noch M'Diq sah plötzlich wieder alles aus wie geleckt, je näher ich Richtung Grenze kam, desto grüner, sauberer, gepflegter, schöner wurde es.
Ich wüsste nicht, was man an dem, was ich gesehen habe auf dem Land, pittoresk finden könnte.
An dem wundervollen Carrefour hielt ich noch einmal, kaufte Wasser und frischen Saft, ein Baguette, an der Käsetheke ein Stück Etorki und in der Patisserie zwei Éclairs mit Cafégeschmack.
Solche Dinge haben die an der heißen Theke: Wachteln, Paella...,
Ich schaffte es recht flott durch die Grenze (5x Passkontrolle, 2x Drogenhund, 3x Wagen öffnen auf allen Seiten), 3/4h. Um 16:55 war ich 1Km vor dem Hafen im Ticketbüro, sie verkauften mir eins für 17:00 und meinten, passt, hier gehen die Uhren anders.
Es war übrigens extrem diesig und der Wüstensand verdunkelte den Himmel.


Und ja, es ging alles ganz gemütlich und um 17:30 legten wir ab, es war ordentlich Seegang, eine Stunde später sah ich schon den Felsen von Gibraltar und war nach dreieinhalb Tagen Marokko wieder in Europa.

Ich suchte mir ein günstiges Hotel (50€) mit Pool, rauschte dort hin, ab in den Badeanzug, nur in ein Handtuch gewickelt durch die Halle und über die Terrasse und dann eine halbe Stunde schwimmen.
Herrrrlich! Fast nackt und keiner wollte mich steinigen. Dann Nägel in Fuchsia lackiert und am nächsten Morgen Wimperntusche und ein Trägertop. Was bin ich froh, dass ich nicht so leben muss!
Zum Dienstag, 4.10.22, ist nicht viel zu sagen. Ich fuhr. Und fuhr. Und versuchte zu verarbeiten, was ich erlebt hatte. Hinterfragte meinen Blickwinkel und meine Wertungen. Dass ein Schaf geschlachtet wird, ist nichts Besonderes, ungewohnt für einen Stadtmenschen aus Europa, aber klar, das ist Essen. Hat mich auch nicht schockiert, war nur kein schöner Anblick für jemanden, der Fleisch schön abstrakt im Supermarkt kauft. Dass Lebewesen sterben ist auch normal, dass ich ein Problem damit habe, wenn es ein süßes Babykätzchen ist, ist natürlich eine Frage der Sozialisation und der Veranlagung. Was mich umtreibt, ist die Frage nach der Würde des Menschen (ich habe vor einigen Monaten das Buch "Würde" von Gerald Hüther gekauft, fand es aber wenig erhellend oder anregend), und mal wieder der Begriff und die Bedeutung der Freiheit.
Eigentlich wollte ich die Alhambra ansehen, aber die Tickets gibt es online und so schaut es aktuell aus:

An einer Raststätte trank ich einen Kaffee und staunte nicht schlecht, als ein Pfau an mir vorbei stolzierte.

Die spanische Herzlichkeit habe ich nicht vermisst 😬
Dann musste ich tanken und durfte als Bonus Afrika abwaschen lassen.
650Km später war ich gegen 17:30 auf der Höhe von Valencia (aber 200Km entfernt im Landesinneren) und groggy. Ich mietete mir für 37€ ein Zimmer in einer Bodega, sehr rustikal, beeindruckende Räumlichkeiten.
Der Pool allerdings ist ebenso wenig einladend, wie der Tennisplatz.
Zum Abendessen gab es vorweg einen sehr mäßigen Salat und dann ein zähes aber geschmacklich überzeugendes Stück Tier mit Kartoffel und einen Verdejo.
Hier sind wir:
Und an meinem letzten Tag in Marokko habe ich mir ein Magen-Darm-Problem eingefangen 🙄

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